Erste Vorlesung über Ferdinand Ulrich in Heiligenkreuz
Im Rahmen einer Gastprofessur an der Hochschule Papst Benedikt XVI. in Heiligenkreuz bei Wien hielt Manuel Schlögl von 17. bis 19. März 2025 eine Vorlesung zur Einführung in das Denken von Ferdinand Ulrich mit dem Titel „Das Wagnis der Seinsfrage“.
Neben den vier für den Kurs inskribierten Studenten der Hochschule nahmen tageweise auch weitere Studierende sowie zwei Brüder von der Gemeinschaft vom Lamm in Wien teil, die sich zufällig im Stift aufhielten. Einer davon, Bruder Jean-Baptiste, hat Professor Ulrich auch persönlich bei Begegnungen mit seiner Gemeinschaft in Regensburg erlebt und beschenkte die Teilnehmer mit seinen Erinnerungen.
Nach einem Überblick über Leben und Werk gab Professor Schlögl eine Einführung in Ulrichs Hauptwerk, den „Homo abyssus“, und den Leitgedanken des Seins als Gabe bzw. als Liebe.
Es entstand eine rege Diskussion darüber, ob man sein eigenes Leben immer als Geschenk erfahren und wie man mit negativen Erfahrungen bis hin zu Leid und Tod umgehen kann. Einem Studenten fielen immer wieder Parallelen zwischen Ulrichs philosophischer Anthropologie und der „Theologie des Leibes“ von Karol Wojtyla/Papst Johannes Paul II. auf. Denn auch dort werde die Freiheit und Relationalität des Menschen betont, deren Höhepunkt in der Selbsthingabe liege. Auch die Frage, worin genau der Beitrag Ulrichs zur Erneuerung des Thomismus liege, wenn man den „Homo abyssus“ mit anderen Neothomisten wie Gustav Siewerth, Etienne Gilson oder Jacques Maritain vergleiche, wurde eingehend bedacht und die Antwort vor allem in einem aktualistischen, dynamischen und relationalen Seinsverständnis gesehen.
Die zweite Vorlesung war dem kleinen Buch „Atheismus und Menschwerdung“ gewidmet, das Hans Urs von Balthasar, der Herausgeber und Freund Ulrichs, für eine Art Kurzfassung des „Homo abyssus“ hielt. Aufgrund des erarbeiteten Vorwissens konnten sich die Studenten nun leichter das Sein als Gabe im Gleichnis von Wort, Licht und Liebe erschließen, erkannten aber auch mehr und mehr die Herausforderung, die Ulrichs Denken an das eigene konkrete Menschsein stellt. Denn Menschsein bedeutet für ihn immer: personale Selbstwerdung, dauerndes Sich-Empfangen aus der Hand des Gebers, Realisierung der Gabe im eigenen Sich-Wegschenken an die Bedürfnisse der anderen.
Der neuzeitliche Atheismus wurzelt nach Ulrich in einer negativen Seinserfahrung und wird auf diese Weise viel tiefer erfasst, analysiert und überwunden als in den gängigen Antworten der Fundamentaltheologie. Professor Schlögl war es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Ulrich damit eben jene Richtung einschlägt, die das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Stellungnahme zum Atheismus („Gaudium et Spes“ 19-22) gewählt hat: die Beantwortung der Religionskritik geschieht von innen, nicht von außen.
Die dritte Vorlesung weitete die Perspektive noch einmal deutlicher hin auf die Spiritualität und den Glaubensvollzug, indem sie sich dem Buch „Gebet als geschöpflicher Grundakt“ zuwandte, das Balthasar außerordentlich geschätzt hatte. Darin wird zum einen deutlich, dass Beten mehr noch als Worte und Riten eine Haltung der eigenen Geschöpflichkeit und damit auch dem Schöpfer gegenüber meint und dass zum anderen Ulrichs Denken immer ein „betendes Denken“ ist, das aus der Kontemplation heraus gewachsen ist und zu dem auch die eigene kontemplative Praxis einen Zugang eröffnet. Als fruchtbar erwies sich die gemeinsame Lektüre und Kommentierung eines Abschnitts aus dem Buch, in dem der Philosoph den Vollzug des Bittens mithilfe der vier Persönlichkeitstypen von Fritz Riemann („Grundformen der Angst“) unterscheidet und zeigt, wie das Ziel des Betens der Dank für das bereits Empfangen-Haben ist.
Am Ende der Lehrveranstaltung zogen die Studenten eine kurze Bilanz ihres Lernerfolgs, die sie in ihrer schriftlichen Ausarbeitung noch erweitern werden. Allen war bewusst, dass sie mit Ferdinand Ulrich einen außergewöhnlichen Denker kennengelernt hatten, dessen Anregungen nicht nur auf der intellektuellen, sondern auch auf der existenziellen und spirituellen Ebene liegen.
Zum Dank für die engagierte Mitarbeit erhielt jeder Teilnehmer von Professor Schlögl Ulrichs Auslegung des Talentes-Gleichnisses sowie eine Einladung zur Ulrich-Tagung im kommenden September in Passau.
Text und Bild von Prof. Dr. Manuel Schlögl

Prof. Dr. Manuel Schlögl in Heiligenkreuz, Quelle: Foto von Manuel Schlögl, Digitales Archiv im Ferdinand-Ulrich-Archiv